• Ein Reisszeug in samtausgelegtem Kästchen

    Werkzeug-Kasten mit Winkelmesser, Stechzirkel, Bleizirtkelfuss, Hämmerchen, diverse Füsse und Messerhalter. FMR D.062, Fricktaler Musuem

    Ein Reisszeug benutzt heute niemand mehr, auch ist die Wortbedeutung beinahe vergessen. Eine Sammlung solch präziser Zeichengeräte bildete jedoch bis in die 1970er Jahre das wichtigste Werkzeug für Architektinnen und Ingenieure, um technische Zeichnungen zu erstellen. Diese wurden mit der Reissfeder geritzt und anschliessend bei Bedarf mit Tusche aufgefüllt.

    Unser Reisszeug besteht aus zwei Reissfedern, zwei Stechzirkeln, Hämmerchen, Winkelmesser aus Messing und Holzdreieck im flachen, rechteckigen Holzkästchen – ein einfaches Set. Eine der beiden Reissfedern – ihr fehlt die kleine Schraube, welche die zweigeteilte Spitze zusammenzieht, um den erzeugten Strich feiner zu machen – besitzt am anderen Ende zudem eine Nadel. Dazu kommt ein Nadelzirkel mit Grafitstifthalter für den Zirkel und ein Verlängerungsaufsatz. Das Lineal fehlt, es wurde im Kästchen unter dem Winkelmesser eingeräumt. Die Zeichengeräte bestehen aus Messing mit Anriss- und Zeichenaufsätzen aus Stahl. Der Zirkelkasten war ursprünglich mit violettem, heute stark verblasstem Samt ausgeschlagen.

    Mit der spitzen Reissfeder riss – oder vielmehr ritzte – der Architekt oder Ingenieure die Zeichnung ins Papier. Eine Bauzeichnung heisst auch deswegen heute noch Riss. Mit dem Stechzirkel nahm der Zeichner mass.

    In Rheinfelder Familienbesitz

    Unser Reisszeug hatte zwei, uns heute namentlich bekannte Besitzende – dies verraten Bleistift-Signaturen auf dem Boden resp. dem Deckel.

    So verewigte sich auf dem Boden Emil Grell (1852–1920). Sein Vater, der Mechaniker Martin Grell (1813–1869), dislozierte 1860 das von dessen Vater in Obermumpf gegründete und betriebene Mühlenbau--Unternehmen nach Rheinfelden. Die Werkstatt befand sich an der Wassergasse. Emil Grell besuchte somit die Gemeindeschulen und die Bezirksschule in Rheinfelden. Nach Martin Grells Tod im Jahr 1869 übernahm Sohn Martin (1842–1874), der ältere Bruder von Emil, den Betrieb – leider nur für 5 Jahre, verstarb Martin Grell doch 1874 als 32-jähriger.
    Der inzwischen 22-jährige Emil Grell erbte nun die Werkstatt für Mühlenbau von seinem Bruder. Er führte das Geschäft erfolgreich ins 20. Jahrhundert. Mit dem Rückgang der Mühlereibetriebe und dem damit verbundenen Schwinden der Reparatur-Aufträge orientierte Emil Grell sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts neu: Er setzte auf das Automobil und richtete 1919 in der Wassergasse 1 eine Autowerkstatt und Autogarage ein.

    Emil Grell war mit Ursula Anz (1857–1931) verheiratet und hatte sechs Kinder, u. a. Emilie (1877–1953). Emilie war das zweitälteste Kind und das erste Mädchen des Ehepaares Grell-Anz. 1903 heiratete sie Georges Koch (1875–1951) – und ihre Erstgeborene nannten sie nach der im April des gleichen Jahres verstorbenen Schwester von Emilie: Marie.

    Marie Koch (1903–1944) erbte das Reisszeug ihres Grossvaters Emil Grell und verewigte in Schönschrift ihren Namen im Holzdeckel. Wie ihr Grossvater Emil besuchte Marie von 1910/11 bis 1914/15 die Gemeinde- und ab 1915/16 die Bezirksschule in Rheinfelden, in welcher sie in der zweiten Klasse von Carl Disler (1880–1954) in Geometrie und der Benutzung von Reissbrett, Zirkel und Winkel eingeführt wurde – das Reisszeug ihres Grossvaters Emil war Marie dabei sicherlich eine grosse Hilfe.

    Zwischen 1829 und 1850
    FMR D.062-1-10